Gestern Abend ist mein Großpapa gestorben. Ich bin traurig, so unsagbar traurig. Grundsätzlich könnte ich sagen, es ist besser so. Für ihn. Er muss nicht mehr leiden, er muss nicht länger ein Leben leben, das er so nie gewollt hätte. Er muss nicht mehr an einem Ort sein, an dem er sich nie wohl gefühlt hat. Er hat, so lange er in dem Pflegeheim war, immer wieder gesagt, daß er nach Hause möchte. Nur ging das ja leider nicht. Wenn ich mir das vor Augen führe, sagt der Verstand, dann ist es es eine Erlösung gewesen. Und trotzdem schreit das Herz. Wie schon erzählt, ich bin ja bei meinen Großeltern aufgewachsen, somit ist da nicht mein Opa, sondern, für mich, mein Papa gestorben. Einen Tag nach seinem 88. Geburtstag.
Ich möchte ihm diesen Eintrag widmen.
Eine meiner ersten Erinnerung ist, das ist ich als Kleinkind oft zu meinen Großeltern ins Bett gekrabbelt bin, und wenn meine Oma dann aufgestanden ist, sind Großpapa und ich manchmal länger liegen geblieben, und haben leise flüsternd erzählt, das war ja herrlich gemütlich 😊
Er hat mich morgens in den Kindergarten gebracht, und Mittags wieder abgeholt, in seinem Auto lief immer klassische Musik, die er mir schon als Kind dann mit Leidenschaft erklärt hat „ Achtung, gleich kommt die große Pauke, hör genau hin“ Bis heute höre ich gern mal klassische Musik, weil dasein Stück „zu Hause“ ist.
Wir haben zusammen Räucherfisch gegessen… Räucherfisch mit einer trockenen Scheibe Graubrot, den er dann aufgeteilt hat.. eine Gabel für ihn, keine für mich, zwei Gabeln für ihn, eine für mich, ich hatte das schon damals das Gefühl, die Verteilung hätte besser laufen können 😉
Natürlich konnte er auch streng sein. Telefonieren war ein Dauerthema… für ihn war das Telefon ausschließlich für wichtige Telefonate, aber auch keinen Fall für „Plauderein“ Ich weiß nicht wie oft ich ein „Auflegen!“ hinter mir gehört habe… Aber, man lernt recht schnell sich zu arrangieren und entwickelt ein gutes Gefühl dafür, wann „die Luft rein ist“ um dann endlich mal in Ruhe zu telefonieren… 😉
Das Haus, bzw der Bauernhof meiner Großeltern liegt ziemlich weit außerhalb, so das wir keine direkten Nachbarn hatten, was einsam war, ja, aber eben auch kaum Regeln erforderlich machte- so waren zum Beispiel Türen oder Autos nie abgeschlossen. Heute ein kaum vorstellbar, oder? In diese „Freiheit“ ist eines Tages, unangemeldet ein Mann von der Berufsgenossenschaft geplatzt, der den Betrieb besichtigen wollte, um zu prüfen, ob alles den Sicherheitsstandards entspricht. Keine Frage, natürlich hatte das Thema Sicherheit jede Menge Potential… Großpapa hat ganz souverän einer Betriebsführung zugestimmt, gar kein Problem… dem Prüfer vorangegangen und hat nach einigen Metern einen sehr schweren Bandscheibenvorfall bekommen, der ihn laut schreiend zu Boden gezwungen hat. Es wurde bereits eine Bare geholt, um den kranken, unter Schmerzen leidenden Mann zu transportieren, der Prüfer bot seine Hilfe an, was mit „nicht nötig, vielen Dank“ abgewiesen wurde. Somit verabschiedete er sich, und sagte, die Prüfung würde nachgeholt. Als er davonfuhr, stand mein Großpapa allein auf, und erklärte diesen, wie die nächsten Tage würden ausschließlich für die Vorbereitung des verschobenen Termins genutzt. Schließlich solle der Prüfer ja keine Mengel vorfinden. Ich muss neidlos anerkennen- er war guuuut!
„Lausbuben Geschichten“ wie diese gibt es viele.. ich werde immer mal wieder eine davon erzählen. Damit sie möglichst lange unvergessen bleiben.
Diesen Schalk im Nacken hat er sich über all die Jahre behalten, selbst als die Demenz schon deutlich vorangeschritten war, wenn er klare Momente hatte, war niemand vor seinen Späßen und seiner spitzen Zunge sicher. Mein Freund hatte ihn einmal im Heim besucht, um ein (alkoholfreies) Bier unter Männern zu trinken. Die beiden saßen in Großpapas Zimmer und haben den Blick aus dem Fenster ins Grüne genossen. Mein Opa hat gefragt, ob der Zug da draußen stehen oder fahren würde, da dort aber kein Zug war, sondern nur Feld und Wiese, hat mein Freund souverän geantwortet, der Zug steht. Was Großpapa mit einem hmmmm akzeptiert hat. Und im nächsten Moment hat er sich zu meinem Freund gedreht, „Du, mal was anderes… fett biste geworden“
Selbst an Tagen, wo er bedingt durch die Demenz geistig eher schlecht zurecht war, und dann vielleicht sogar meinen Namen nicht wusste, haben seine Augen freundlich gefunkelt, wenn ich zu Besuch kam, frei nach dem Motto, ich weiß jetzt grad nicht wirklich wie du heißt, aber ich freue mich, dich zu sehen. Solche Augenblicke waren unbezahlbar und werden mir noch lange im Gedächtnis bleiben. An den eher „schlechten Tagen“ hat er oft Gedankenverloren vor sich hingeträumt? und hat einen dann plötzlich mit spitzbübisch funkelnden Augen angeschaut und gelacht… ein Königreich für seine Gedanken! An dieses Funkeln möchte ich mich noch lange zurück erinnern!
Ich wünsche mir, das er da, wo er jetzt ist, ständig funkelnde Augen hat!
Großpapa, du fehlst mir!